Digging out from rusted Ground


Duo-Exhibition together with Andreas Perkmann Berger >>


Künstler:innenvereinigung
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Photos@ KW

February 2023
Linz, Austria









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Digging Deep Time



when he told me to bring back something from every decade in the twentieth century—I was clever and brought back a rock
Extremely Loud and Incredibly Close, Jonathan Safran Foer
Despite relegation to a trope for the cold, the indifferent, and the inert, stone discloses queer vivacity, and a perilous tender of mineral amity.
Stone. An Ecology of the Inhuman, Jeffrey Jerome Cohen

Die Paläontologie will herausfinden welche Lebewesen auf der Erde vorgekommen sind und wie ihre Lebewelten aussahen – und sie blickt dazu in die tiefe Vergangenheit der Erdgeschichte. Deep time. Man spricht von „geologischen“ Zeitaltern, denn es ist die Geologie, die Wissenschaft von der Struktur und Entwicklung der Erdkruste, die hier wichtige Hinweise liefert: Wie die Körper von Tieren und Pflanzen zu Erdöl wurden, wie sich ganze Erdteile ineinanderschoben und zu Bergen auftürmten, wie sich Mineralien zu riesigen Gesteinsblöcken formten und wieder zerfielen. Es sind die Steine, die befragt werden.
Der der Stein begegnet uns – zumindest im modernen, europäischen Denken – oft als Inbegriff des Nicht-Lebendigen. Der Stein ist, was weder lebt noch existiert. Der Stein ist einfach vorhanden. Das heißt aber auch, der Stein ist das, worauf man sich verlassen kann. Der Stein ist die Welt. Du denkst, alles ist nur Abbild, nur Scan, nur Simulation, aber dann stößt Dein Fuß gegen einen Stein. Der Stein ist Ausdruck von Realität und von Materialität. Der Stein ist echt. Der Stein als Metapher für das Ewige und Unveränderliche – und das, obwohl wir in den Steinen über die Geschichte des Lebens lesen und dabei immer wieder Unwahrscheinliches und Unerklärliches gefunden haben. Den Steinen ist eine bewegte Geschichte eingeschrieben. Alles eine Frage des Tempo.
Es ist eine Art Relativitätstheorie, schreibt Jane Bennett in Vibrant Matter: Die Steine, Tische, Technologien, Wörter und Nahrungsmittel, die uns als fest begegnen, sind bewegliche, in sich heterogene Materialien, deren Geschwindigkeit, deren Veränderungs-Tempo langsam ist, im Vergleich zu der Geschwindigkeit der menschlichen Körper, die mit ihnen interagieren und sie wahrnehmen.1 Ein Problem des Rhythmus. Warum überhaupt ein Problem? Warum in der Erde graben? Die Geologie, diese scheinbar beständigste aller Wissenschaften, hat heute eine gänzlich neue Aufgabe.
Der Mensch erscheint im Holozän, solche Merksätze verdanken wir der Geologie. Das Holozän ist nicht einmal 12.000 Jahre alt, ein Klacks für ein Zeitabschnitt der Erdgeschichte. Trotzdem ist die Geologie derzeit mit der Frage beschäftigt, ob es nicht an der Zeit wäre, ein neues Erdzeitalter auszurufen, das Anthropozän, benannt nach dem Einfluss des Menschen – oder besser, einiger bestimmter Menschen – auf so gut wie alle chemisch-biologischen Systeme des Planeten. Wie stellt man diese Frage? Auch durch Graben in der Erde.
1 „the stones, tables, technologies, words, and edibles that confront us as fixed are mobile, internally heterogeneous materials whose rate of speed and pace of change are slow compared to the duration and velocity of the human bodies participating in and perceiving them.“ Jane Bennett, Vibrant Matter, Duke University Press, 2010, Chapter 4.
Allerdings sind es die zukünftigen Erdschichten, die hier befragt werden müssen. Es handelt sich um eine Archäologie der Zukunft (Frederic Jameson, Ursula K. Le Guin). Die Geologie übt sich heute in Science Fiction. „[T]he Anthropocene itself can usefully be understood as a science fiction trope“, schreibt die Kulturwissenschafterin Ursula Heise. Warum ist das Anthropozän eine prototypisches Science Fiction? Es taugt vielleicht gar nicht so sehr als Definition einer geologischen Epoche, aber, so Heise, es ist ein sehr wirksames Gedankenexperiment: Es entwirft die Gegenwart als eine Zukunft, die bereits stattgefunden hat; „to cast the present as a future that has already arrived – one of the quintessential functions of contemporary science fiction“.2 Die Frage stellt sich im Futur II: Was werden wir zurückgelassen haben? Wie sehen die Erdschichten aus, die wir dabei sind zu kreieren? Welche Spuren, welche Abdrücke, welche Reste wird man von uns finden? Allerdings ist das Anthropozän keine neutrale Epochen-Bezeichnung, sondern eine Diagnose und Warnung. Wie könnte sich eine Anthropozän-Schicht in dem Fossilbericht der Erde bemerkbar machen? Die Vorschläge sind einigermaßen unappetitlich: Mikroplastik, radioaktiver Niederschlag, massenhafte Ansammlungen von Hühnerknochen. etwas ansprechender formuliert -nämlich von donna Haraway in Unruhig bleiben: „die Großen Beschleunigungen der Nachkriegsära meißeln ihre Spuren in die Steine, Gewässer und Kritter der Erde.“ in jedem Fall: das Zeitalter, das nach anthropos, dem Menschen, benannt werden soll, ist eine Katastrophenmeldung. Die Paläontologie nahm ihren Anfang, als die versteinerten Knochen von riesigen Echsen ausgegraben wurden und man nicht mehr umher kam sich einzugestehen, dass die Erde einst von ganz anderer Flora, Fauna und Funga bewohnt war. Die Evolution wurde entdeckt und mit ihr das Aussterben. Auch heute wird ausgestorben, allerdings – apropos Tempo – noch viel schneller als in der Geschichte des Planeten üblich. Der Mensch erscheint im Holozän, aber wer verschwindet im Anthropozän? Wo sind eigentlich die Menschen in der Ausstellung Digging out from rusted ground? Schon verschwunden oder nur gerade nicht da? Sind es Spuren und Überreste auf einem inzwischen toten Flecken Erde, die wir sehen. Oder ist hier, wenn wir genauer hinsehen, nicht doch etwas höchst Lebendiges zu finden? Sind die Lebewesen, die gelernt haben, mit und in unseren giftigen Hinterlassenschaften zu leben so anders, dass wir sie auf den ersten Blick gar nicht erkennen können? Für mich ist Digging out from rusted ground eine Einladung archäologisch, paläontologisch, geologisch zu werden, in dem Sinne, dass Oberfläche und Tiefe, Natur und Kultur, tiefe Vergangenheit und weit entfernte Zukunft ineinander geschoben, zusammen gepresst und flüssig gemacht werden. Es gibt aber sicherlich ganz viele Eingänge und Blicke auf die Kunstwerke von Kristin Weissenberger und Andreas Perkmann – und darum lass ich Sie diese jetzt am besten selbst erkunden.

2 Ursula Heise: Imagining Extinction, University of Chicago Press, 2016 S. 18.